Samstag, 10. Mai 2014

Teil 3

Am nächsten Morgen gegen 5 Uhr fuhren J. und ich dann Richtung Amsterdam. Ich habe versucht auf der Fahrt etwas zu schlafen. Kurz vor Ankunft fuhr J. falsch ab und wir irrten durch die Stadt. Dabei hörten wir laut Musik und alberten rum. Es war für einen Moment unbeschwert. In der Klinik angekommen, saßen wir eine gefühlte Ewigkeit im Warteraum. Als ich dann aufgerufen wurde, wusste ich nicht so recht was ich tun sollte. Ich sah J. an und wollte ihn noch umarmen, aber das ergab sich irgendwie nicht. Ich ging der Krankenschwester hinterher und wurde auf mein Zimmer gebracht.
Zum Ablauf der Abtreibung möchte ich nichts näheres schreiben... Als ich nach dem Eingriff aus der Narkose erwachte, hatte ich furchtbare Schmerzen. Ich fing an zu weinen. Ich war erleichtert, dass ich nun alles hinter mir hatte. Ich fragte die Schwester, ob J. zu mir kommen darf, aber sie verneinte, da noch zwei weitere Mädchen mit auf meinem Zimmer lagen. Ich bekam eine Suppe und etwas Wasser. Aufgrund der starken Schmerzen musste ich noch etwa eine Stunde liegen bleiben. Ich schlief einpaar Mal wieder kurz ein. Als die Schwester zu mir kam um mir zu sagen, dass ich nun nach Hause darf, sagte sie "Ihr Freund hat schon nach Ihnen gefragt. Er wartet auf Sie unten im Eingangsbereich". Ich hatte in diesem Augenblick oder besser gesagt den gesamten Tag das Gefühl als wären wir tatsächlich zusammen und als würde er sich Sorgen machen. Ich stand auf, nahm meine Sachen und ging Richtung Ausgang. J. wartete schon auf mich. Anstatt mich in den Arm zu nehmen und zu fragen, wie es mir geht, meinte er nur "Lass uns zusehen, dass wir hier schnell weg kommen". Ich nickte und ging ihm hinterher. Wir liefen zum Auto oder besser gesagt ich versuchte zu laufen. Ich hatte schreckliche Schmerzen. Nach einer stundenlangen Rückfahrt aufgrund mehrerer Staus kamen wir in unserem Heimatort an. Ich bedankte mich bei ihm, dass er mitgekommen und gefahren war. Er umarmte mich zum Abschied und sagte, dass wir die nächsten Tage ja telefonieren können.
Ich fuhr zwei Tage später zurück in meinen Studienort. Die Schmerzen waren fast weg. Doch nach dem ersten Uni-Tag nach der Abtreibung bekam ich wieder furchtbare Schmerzen. Ich konnte nur noch liegen, hatte starken Blutungen und Schmerztabletten halfen auch nicht mehr. Ich rief bei meinem Frauenarzt an und konnte direkt vorbeigehen. Er verschrieb mir Antibiotikum und viel Ruhe. Nach und nach wurde es endlich besser.
Ich kann sagen, dass ich bis heute keine Sekunde diesen Eingriff bereut habe. Ich werde oft daran erinnert, vor allem wenn ich schwangere Frauen oder kleine Kinder sehe. Aber von Zeit zu Zeit wird dies weniger und ich kann damit langsam vollkommen abschließen.
Nach dem Abbruch ging aber auch der Kontakt zu J. immer weiter zurück. Er meldete sich gar nicht mehr, er fragte nicht mal wie es mir mit der ganzen Situation geht. Ich war deshalb ziemlich fertig und hatte einige wirklich miese Tage.

Erst Anfang dieses Jahres hörte ich wieder von J. Er redete sich damit raus, dass ihm das selbst alles zu viel gewesen wäre und er den Gedanken fast Vater zu werden erstmal verarbeiten musste. In meinen Semesterferien im Februar trafen wir uns dann aber wieder. Wir gingen zusammen Essen und ich empfand die Situation sehr beengend und befremdlich. Immerhin war es das erste Mal seit dem Schwangerschaftsabbruch, dass wir uns wiedersahen. Ich wusste absolut nicht wie ich mit ihm umgehen sollte. Hinzu kam auch noch, dass er unfassbar gut aussah an diesem Abend und ich am liebsten gleich um den Hals gefahren wäre. Als wir vor meiner Haustür standen und uns noch eine Weile im Auto unterhielten, überlegte ich die ganze Zeit, ob ich seine Hand nehmen soll oder ihn einfach küssen soll. Aber ich war zu feige, weil ich nicht wusste wie er im Moment zu mir steht. Wir verabschiedeten uns mit einer Umarmung. Seit diesem Tag habe ich ihn nicht mehr gesehen.
Als ich vor einer Woche wieder ein Wochenende in der Heimat war, schrieb ich ihm. Da er aber jegliche Nachrichten von mir die vergangenen Monate ignorierte hatte, hatte ich keine großen Hoffnungen auf eine Antwort. Aber tatsächlich fragte J. wie lang ich vor Ort wäre. Wir einigten uns darauf, dass ich am Folgetag gegen Mittag vorbeikomme. Ich war nervös und freute mich unglaublich. Ich hatte mir so oft überlegt, was ich ihm sagen will. Ich wollte mich dieses Mal endlich trauen und ihm sagen, dass ich ihn liebe. Nun stand ich vor seiner Tür und klingelte, aber keiner öffnete. Sein Handy war ausgeschaltet. Ich war sauer und fuhr wieder. Eine halbe Stunde später kam eine Nachricht, dass er am Vortag zu viel getrunken hatte und er das Bett heute nicht verlassen könnte. Ich war enttäuscht, aber ich kannte dieses Verhalten von J. natürlich.
Einpaar Tage später verfasste ich eine Nachricht, dass ich es traurig finde, dass wir uns völlig entfremden und ich das Gefühl habe, dass er doch nicht so reif und erwachsen ist, wie ich noch Anfang des Jahres dachte (da er mal wieder völlig betrunken war und das wohl schon seit mehreren Tagen). Seine Antwort war wie ein Schlag ins Gesicht "Nerv doch wen anderes, lass mich in Ruhe". Seit diesem Tag versuche ich das zu verstehen und irgendwie mit dem Gedanken klar zu kommen, dass ich keinen Platz mehr in seinem Leben habe. Mich zieht dieser Gedanke runter. Am liebsten würde ich den ganzen Tag nur im Bett liegen und mich verkriechen. Ich hatte mir unsere gemeinsame Zukunft schon ausgemalt, denn schließlich meinte er vor einem 3/4 Jahr selbst noch, dass zwischen uns etwas ganz besonderes ist. Ich kann und will nicht akzeptieren, dass es vorbei ist...

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